Ziel dieses Kapitels ist es, sowohl den theoretischen Rahmen von SMASCH als auch den sich hieraus ergebenden methodischen Ansatz näher zu erläutern.
Hierbei fokussieren wir uns für diesen Bericht auf Kernbegriffe und -methoden, wenngleich unter dem Dach des Projekts eine Reihe weiterer Konzepte tangiert bzw. verhandelt werden.
Zentrale Begriffe
Ein Charakteristikum der öffentlichen, politischen und z.T. auch wissenschaftlichen Debatten um schulische Digitalisierung ist eine mitunter inflationäre Nutzung von Begriffen, mit denen insbesondere Hoffnungen des digitalen Bildungswandels assoziiert werden. Beispiele sind Begriffe wie personalisierter Unterricht, selbstgesteuertes Lernen, die Veränderung der Lehrkräfterolle vom instruierten Lehren zum flexiblen Lernbegleiter.innen oder auch der Begriff der digitalen Schultransformation. Gerade in den letzten Jahren sind jedoch auch zunehmend kritische Studien entstanden, die dafür plädieren, derartige Begriffe systematischer zu „demystifizieren“ (Reich 2020; Mertala 2020; Zierer 2020). Hiermit ist zum einen gemeint, dass im Reformdiskurs zu selten konzeptuell geschärft wird, was mit derart voraussetzungsvollen Begriffen genau gemeint sein kann/soll (also z.B. „Was bedeutet Personalisierung in einer Lernplattform?“), obgleich es im Prinzip zu allen Begriffen inzwischen umfangreiche wissenschaftliche Debatten gibt. Zum anderen ist gemeint, dass die tatsächliche empirische Vielfalt von gleichzeitig positiven wie negativen Wirkungen der Digitalisierung noch deutlich zu wenig thematisiert wird, darunter beispielsweise, dass digitale Lerntechnologien traditionelle schulische Strukturen und Prozesse, die eigentlich überwunden werden sollten (z.B. prüfungsorientiertes Inputlernen), genauso reproduzieren oder gar verschärfen können (siehe z.B. Förschler et al. 2021). Gleichermaßen sind aber auch zunehmend Studien entstanden, die sehr wohl darauf hinweisen, dass eine derartige Überwindung möglich ist und digitale Technologien hierbei eine bedeutsame Rolle spielen können (KMK 2021, Hauck-Thum et al. 2023). Hierfür ist allerdings zentral, deutlich mehr ‚out of the box‘ zu denken als es bislang im Kontext schulischer Digitalisierung der Fall war, und gleichermaßen von Assoziationen von Digitalisierung mit ‚schnell‘, ‚einfach‘ oder ‚bequem‘, sowie von bisheriger Schulpraxis als ‚grundsätzlich unmodern‘ ein Stück weit Abstand zu nehmen (siehe hierzu auch Neuhaus et al. 2022). Die in der Einleitung genannte zunehmende Hinwendung zu Digitalisierung als einem multidimensionalen Thema von Schule als Gesamtorganisation (Endberg et al. 2021; Eickelmann et al. 2017) sowie die graduelle Substitution des Begriffs der Digitalisierung mit dem der Digitalität (Stalder 2016; Kuttner et al. 2022) können hierbei fruchtbare konzeptuelle Anhaltspunkte bieten. Gerade für Schulen, die unter massivem Zeit- und Personaldruck stehen und die mit einer Vielzahl von z.T. gravierenden Alltagsproblemen zu tun haben, mögen solche deutlich komplexeren Ansätze zunächst als eine noch größere Herausforderung erscheinen. Schließlich fordert eine solche Perspektive Handelnde heraus, sich von gewohnten Handlungs- und Zeitlogiken zu lösen oder mit tradierten Bildungsidealen und Schulpraktiken zu brechen, ohne dass eindeutige Antworten zum ‚Was funktioniert denn sicher?‘ oder ‚Was wird dann passieren?‘ gegeben werden können. Dem folgend argumentiert SMASCH, dass ein derart ‚überwindendes‘ Verständnis von Digitalisierung im Grunde deutlich stärker einem pädagogischen Professionsverständnis entspricht, das auf Bildung im Sinne der Erkundung von Selbst- und Weltverhältnissen abzielt. In diesem Sinne möchte SMASCH dazu beitragen, Handelnde zu ermutigen, sich auf diese Ungewissheit ‚einzulassen’ und professionsgeleitet Antworten zu suchen. Dies gelingt jedoch nur, wenn ein derartiges Zusammendenken von Digitalisierung ‚out of the box‘ systematisch mit der ohnehin laufenden Bewältigung von Alltagsproblemen sinnvoll verzahnt werden kann. Hiermit ist auch gemeint, dass im Prinzip jede Praxis, die Digitalisierung nicht nur instrumentell denkt, ‚revolutionäres‘ Potential entfalten kann, da Engagement mit Digitalisierung ‚im Kleinen‘ (also z.B., dass sich mit einer Lernapp im Unterricht tatsächlich auseinandergesetzt wird) immer auch ein besseres Verständnis für die größeren Zusammenhänge digitaler Transformation mit sich bringt (bspw. dass reflektiert wird, dass die App selbst zu einer ‚mit-agierenden’ Lehrkraft wird, die etwa durch Vorlagen reguliert, wie ein ‚gutes Lernprodukt’ auszusehen hat.).
Im Folgenden stellen wir eine Auswahl zentraler Begriffe vor, die vor diesem Hintergrund im Kontext von SMASCH eine zentrale Rolle spielen, und die im Sinne eines konzeptuell-normativen Grundgerüstes als kontinuierliche Reflexionsfolien für Entscheidungen im Projekt dienen.
Mit dem zunehmenden Aufkommen eines Digitalisierungsverständnisses im Sinne gesamtorganisationaler Verankerungen und Gestaltungen digitaler Schulentwicklung wird in den letzten Jahren vermehrt der Begriff der Nachhaltigkeit diskutiert (Barberi et al. 2020)1Siehe zur Thematik der Nachhaltigkeit im SMASCH-Kontext auch Cafantaris et al. 2023. Gemeint ist hiermit jedoch, zumindest bislang, insbesondere die Dauerhaftigkeit digitaler Veränderung – etwa, dass neu angeschaffte Tablets nicht nach kurzer Zeit wieder ungenutzt im Schrank lagern oder dass Unterricht unter Zuhilfenahme digitaler Technologien nicht immer wieder neu beworben werden muss. Gleichzeitig zeigt sich, dass ein solch enges begriffliches Verständnis Nachhaltigkeitskonzepten wie sie etwa im Feld Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) oder auch im Rahmen der UN Sustainable Development Goals (sdgs.un.org/goals) inzwischen umfassend diskutiert werden, immer weniger gerecht wird (Rieß et al. 2006). In diesem Verständnis geht es vielmehr darum die „[…] Verbindung einer ökologischen, ökonomischen und sozialen Perspektive“, die sich „daran orientiert die Lebenswelten der Menschen möglichst unbeschadet zu erhalten, damit die Lebensgrundlage für nachkommende Generationen gesichert bleibt“ (Barberi et al. 2020: 4). Auch der 2019 erschienene Aktionsplan „Natürlich. Digital. Nachhaltig“ (2019) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) plädiert für ein solch breiteres Nachhaltigkeitsverständnis, welches insbesondere einen Fokus auf Gerechtigkeit für nachfolgende Generationen legen müsse. Wenngleich derartige Vorstöße zweifellos auch für das Feld digitaler Schulentwicklung zentral bedeutsam sind, so fehlt es nach wie vor an spezifischeren Darstellungen, was ein solch umfassenderes Verständnis von Nachhaltigkeit im Bereich der digitalen Schulentwicklung konkret bedeuten kann und wie sie sich in strategische Entscheidungen digitaler Gestaltung übersetzen lässt (siehe für Anregungen bspw. die jüngste Bildung, Bits & Bäume-Konferenz; bildung-bits-baeume.org/).
Im SMASCH-Projekt greifen wir diese Lücke auf und schlagen entsprechend einen Nachhaltigkeitsbegriff digitaler Schulentwicklung vor, welcher, statt Nachhaltigkeit als ein Setting umfassender Ansprüche von Schulentwicklung zu greifen, an einem Anerkennen nicht auflösbarer Spannungsfelder nachhaltig-digitaler Schulentwicklung ausgerichtet ist. Derartige Spannungsfelder zeigen sich beispielsweise, wenn im Sinne besagter Sustainable Development Goals gleichzeitig versucht wird, auf ökonomisches Wachstum zielende Innovationen und die Reduktion sozialer Ungleichheit voranzubringen. Sicherlich lassen sich beide Felder etwa mit einem einzigen Projekt adressieren; gleichzeitig werden sich gerade in den Nuancen immer wieder Dilemmata ergeben, die sich eben nicht auflösen lassen, sondern vielmehr einer kontinuierlichen Auseinandersetzung und Abwägung bedürfen. Nachhaltig-digitale Schulentwicklung wäre in einem solchen Verständnis entsprechend nicht ein linear verfolgbares, klar umrissenes Ziel (z.B. eine Schule wird ökologisch nachhaltiger, wenn sie Papierstapel durch digitale Dokumente ersetzt), sondern vielmehr als ein kontinuierliches, situativ bedingtes Abwägen unterschiedlicher z.B. sozialer oder ökologischer Risiken von Digitalisierungsschritten (z.B. durch Papierverzicht wird soziale Teilhabe an die Verfügbarkeit technischer Infrastruktur gekoppelt). Auf der einen Seite erfordert ein solches Bewusstsein zweifellos ein ‚tieferes Eintauchen‘ in die Komplexitäten sowohl von Digitalisierung als auch von Nachhaltigkeit. Auf der anderen Seite kann es aber auch entlasten in dem Sinne, dass es am Ende keine ‚komplett nachhaltige‘ digitale Schulentwicklung geben kann, sondern es vielmehr auf das Setzen bewusster, aus dem Kontext heraus entwickelter Schwerpunkte sowie auf eine kritisch-reflektierende Haltung ankommt.
Mit dem digitalen Wandel vollzieht sich ein Transformationsprozess, der enorme Verschiebungen auf gesellschaftlicher, organisationaler und individueller Ebene mit sich bringt. Schulen sind an ständige Reformen gewöhnt und sie können als mustergültige Arenen für die „Poesie der Reformen“ (Luhmann, 2000) gelten, in denen Reformen oft keine wesentlichen anderen Folgen zeitigen, als den nächsten Reformschub zu legitimieren (Brunsson 1989). Jedoch fordert Digitalisierung Schulen auf neue und andere Weise heraus, weil grundlegende Struktur- und Ordnungselemente, die für Schulen bislang als verlässliche Konstanten ihres Handelns galten, wie etwa ihr kollektivierender Charakter, die strikte Regelgebundenheit und Formalität oder die festen Zeit- und Raumbezüge (Drepper et al. 2012), zunehmend in Bewegung geraten. Es scheint in diesem Fall die Besonderheit vorzuliegen, dass offenbar von der Unterstellung einer bruchlosen Kontinuität sowie dem naiven Anspruch auf Prognosefähigkeit Abstand genommen werden muss, bei der „Zukunft wahrscheinlichkeitstheoretisch auf die Fortschreibung von Daten aus einer gegenwärtigen Vergangenheit reduziert werden kann“ (Schäffter 2012, 117). Digitalisierung scheint kein Vorhaben zu sein, das man innerhalb einer bestimmten Zeit im Hinblick auf bestimmte Ziele abarbeiten kann, die aus der Vergangenheit abgeleitet sind und ohne sich substanziell zu verändern. Vielmehr wird dieses Bemühen u.a. deshalb erschwert, weil Wissensbestände und Kompetenzen eine kürzere Halbwertszeit haben und damit kontinuierliches Lernen und Forschen zu einer entscheidenden Komponente für (organisationale) Weiterentwicklung wird.
Der Wandel lässt sich also nicht mehr in dem für Reformen üblichen klassischen „unfreezing-changing-refreezing“-Modell (Lewin 1951) beschreiben, das den Wandel als geplanten Übergangszustand von einem Zustand A zu einem Zustand B begreift, der in drei Phasen vollzogen wird – auftauen, verändern und wieder einfrieren. Eine Schule wäre demnach an einem als defizitär betrachteten Punkt A, würde Geräte anschaffen, das Kollegium entsprechend weiterbilden, Digitalisierung in ihrem Curriculum verankern etc. und würde dann bei erfolgreicher Absolvierung aller geplanten Schritte erfolgreich an Punkt B landen und dort fürs Erste auch bleiben. Wenn nun aber die ganze Gesellschaft einem ständigen Transformationsprozess unterworfen ist, so ist es hilfreich, auch den Wandel in Schulen als deren konstitutives Merkmal zu betrachten und ihn als „kontinuierlichen Fluss“ zu konzipieren (Quattrone et al. 2001; Tsoukas et al. 2002).
Zu beachten sind dabei zwei Gesichtspunkte. Erstens pflegen Schulen als (Expert.innen-) Organisationen eine Kultur des Wissens, die stark an ihrem autonomen und professionsgebundenen Selbstverständnis angelehnt ist. Schulen sind mit anderen Worten lose gekoppelte Systeme (Weick 1976; Orton et al. 1990), in denen professionelles Handeln den operativen Kern bildet. Weil professionsgebundene Organisationen kein starkes Willensbildungszentrum ausbilden können (Mintzberg, 1989), fehlt es oft an einer kohärenten Gesamtstrategie; organisationale Transformation ergibt sich daher eher aus vielen Einzelinitiativen, die von Einzelnen oder kleinen Gruppen vorangetrieben werden (Klatetzki 2012). Auch SMASCH muss sich in diese Organisationsrealität einfügen, indem die Spezifika des Organisationstyps Schule beachtet werden.
Zweitens wird organisationale Transformation immer begleitet von Widerständen (March 1981). Das gilt insbesondere für die Schule als wissensbasierte Professionsorganisation: Je umfassender die durch die Transformation ausgelösten Unsicherheiten wahrgenommen werden, umso bedrohlicher erscheint die Transformation für das professionelle Selbstverständnis von Akteur.innen. Dabei kann sich Widerstand in vielfältigen Erscheinungsformen zeigen, wie etwa in offenem Protest in Verbindung mit inhaltlicher Delegitimierung von Veränderungsinitiativen, im Verweis auf professionelle Werte und Standards; in der Bezugnahme auf formale Aspekte, die Veränderungsinitiativen im Weg stehen; in einer passiven Verweigerung durch Abschottung, Rückzug oder – subtiler noch – Dienst nach Vorschrift; in bewusstem Ignorieren von Anforderungen, z.B. durch absichtliches ‚Übersehen‘; in der Indifferenz gegenüber den Veränderungsinitiativen oder in mehr oder weniger offensichtlichem Desinteresse; in Formen des Widerstands, die auf routinierten – meist aber nicht einmal bewussten – defensiven Handlungsmustern beruhen (Lust et al. 2017 für das Beispiel von Hochschulen). Auch potenzielle Widerstände erfordern von SMASCH eine reflexive und responsive Methodologie (s. dazu den nächsten Abschnitt).
Schulen auf dem Weg zur Digitalität sind an dieser Stelle herausgefordert, sich teilweise neue und ungewohnte kulturelle Dimensionen zu erarbeiten, nämlich als Organisation inklusive der Lehrenden selbst zu lernen (vgl. Schön et al. 1995; Senge 2012). In Abkehr von großen Metaplänen gewinnt dann „die Beachtung der zahllosen Mikroprozesse und Praktiken des Organisationslebens, die miteinander verwoben sind, um sinnvolle strategische Ergebnisse zu erzielen“ (Chia 2004, 29; Übers. d. d. Verf.) an Bedeutung. Insofern steht ein Wandel der organisationalen Kultur immer auch mit neuen strategischen Optionen und nicht zuletzt mit der Identität der Organisation Schule in Zusammenhang (Gagliardi 1986; Hatch et al. 2015).
Um das Zusammenspiel und die zum Teil widersprüchlichen pädagogisch-didaktischen, sozialen und technischen Herausforderungen zu verstehen, könnte dies bspw. bedeuten, unterschiedliche Wissens- und Kompetenzarten zu nutzen. Einerseits also kanonisiertes Wissen, in Form von Fortbildungen, Manualen usw. zur Verfügung zu stellen, andererseits aber situiertes Lernen und experimentier- und fehlerfreundliche Partizipation im Sinne von ‚Communities of Practice‘ (Lave et al. 1991) zu ermöglichen, mittels derer neue und ungewohnte Lösungen gefunden werden, die die Organisation gegenüber neuen Entwicklungen flexibler und responsiver machen können (Ortmann 2016). Die beiden Organisationstheoretiker Tsoukas und Chia formulieren dies als „die [Realität] von innen heraus kennenlernen oder, um Wittgensteins berühmten Aphorismus zu verwenden, nicht denken, sondern schauen“ (Tsoukas et al. 2002, 571; Übers. d. d. Verf.). Konkret ist deshalb das Anliegen bei SMASCH diese Gedanken in schulische Strukturen zu übersetzen, die es ermöglichen, aus dem lokalen Wissen und den Praktiken von Lehrer.innen, Eltern und Schüler.innen fortlaufend strategische Optionen zu entwickeln und so schulische Transformation als einen kontinuierlichen Wandel zu praktizieren.
Mit dem Begriff der Digitalität greift SMASCH insbesondere die vielzitierten Arbeiten von Felix Stalder (z.B. 2016, 2021) auf, in denen für eine Überwindung des Begriffes der Digitalisierung plädiert wird (siehe auch KMK 2021). Während Digitalisierung – im engeren Sinne – nichts anderes meint als die Überführung analoger Inhalte in ein digitales bzw. von Computern verarbeitbares Format oder – im weiteren Sinne – die Organisation von Dingen mittels digitaler statt analoger Medien, so denkt der Digitalitätsbegriff deutlich breiter: Digitalität „[…] ist das, was entsteht, wenn der Prozess der Digitalisierung eine gewisse Tiefe und eine gewisse Breite erreicht hat und damit ein neuer Möglichkeitsraum entsteht, der geprägt ist durch digitale Medien. […] Aufgrund der breiten Verfügbarkeit und Anwendung neuer Kulturtechniken entsteht ein neuer kultureller Möglichkeitsraum, der natürlich immer auch mit spezifischen Einschränkungen verbunden ist“ (Stalder 2021, 3-4). Mit dem Begriff der Digitalität eng zusammen hängt eine sukzessive wissenschaftliche Hinwendung zu einem sogenannten ‚postdigitalen‘ Verständnis von Bildung und Gesellschaft, welches, statt analog und digital gegenüberzustellen, deren unterschiedliche Konstellationen der Verzahnung und Durchdringung (z.B. das Analoge im Digitalen, das Digitale im Analogen, siehe auch Zimmerli 2021) in den Fokus rückt (Jandrić et al. 2018, 893).
Gerade weil diese Digitalität durch Dimensionen charakterisiert ist wie Nicht-Linearität, Unmengen von (digitalen) Verknüpfungen und Feedbackdynamiken, Gleichzeitig- sowie Gleichörtlichkeiten wird zunehmend deutlicher, wo sich überall Widersprüche zum traditionellen Aufbau des Schulsystems zeigen: „Ins Zentrum rücken Fragen der Orientierung innerhalb eines dynamischen und deshalb unübersichtlichen Raumes, und statt der Vermittlung unumstößlicher Wahrheiten, die Fähigkeit, Dinge immer wieder neu einschätzen zu können. Weil dies jede(n) Einzelne(n) alleine überfordern würde, sind Formen des Zusammenarbeitens und des gemeinsamen Reflektierens wichtiger als die des individuellen (Auswendig)Lernens.“ (Stalder 2021, 5). Wie bereits genannt, ist es momentan weit verbreitet, einen großen Kontrast zwischen immer noch gelebter Schulpraxis und einer entsprechend tiefgründigen Revolution von Lern- und Bildungssettings in Richtung Kulturtechniken der Digitalität zu fordern, um nicht bei ‚Oberflächenveränderungen‘ durch Digitalisierung (d.h. auf ein Umstellen auf digitale Infrastruktur und Anwendungskompetenzen) stehenzubleiben (siehe auch KMK 2021; Hauck-Thum 2021), die schlimmstenfalls gerade nicht zu einem Leben in der Digitalität befähigen. Wenngleich wir in SMASCH viele Aspekte einer derartigen Positionierung teilen, so erachten wir es gleichsam für notwendig, das Konzept Digitalität auch selbst immer wieder kritisch zu hinterfragen, nämlich vor allem dann, wenn es als neue simplifizierte Zielkategorie, als vereinfachter Abgrenzungsbegriff zum Status Quo oder auch als neuer „Kompetenzterminus” in Erscheinung tritt (Neuhaus et al. 2022). So haben wir in vielen Projektschulen bereits zu Beginn des Projekts viele Facetten oder auch Ansätze beobachten können, genau diese breitere Orientierung auf Gesellschaft in der Digitalität zu adressieren, Digitalität als Begriff aber gleichzeitig auch kritisch zu diskutieren, etwa in Hinblick auf die nach wie vor zentrale Relevanz sukzessiv aufeinander aufbauender Wissensvermittlung für Heranwachsende. Des Weiteren zeigte sich immer wieder, wie stark Handlungszwänge der Schulpraxis (z.B. die notwendige Orientierung auf vorgegebene Zeitraster, Prüfungsmomente, extremer Personalmangel oder schülerklientelbedingte Probleme) Lehrkräfte in Spannung zu Versuchen bringt, mit innovativen Lernsettings zu experimentieren, die über kleine Anpassungen hinausgehen und ‚große Fragen‘ adressieren. Und schließlich erachten wir Nutzungsentscheidungen für/gegen bestimmte digitale Technologien bzw. auch die bewusste Beschäftigung mit Fragen der Analogität vs. Digitalität für nach wie vor extrem relevant, auch um sich mit Digitalität auseinandersetzen zu können.
Das Konzept der digitalen Mündigkeit kann als letztendlicher Überbegriff gefasst werden, der das Ziel beschreibt, welches wir mit SMASCH insgesamt verfolgen. Im Prinzip greifen wir hiermit die Frage auf, was für ein Bildungskonzept nötig ist, um in einer Gesellschaft der Digitalität, die in zunehmendem Maße von digitaler Vernetzung und algorithmischen Entscheidungssystemen durchdrungen wird, Orientierung sowie eine gestaltungsorientierte Handlungsfähigkeit (z.B. in Hinblick auf Nachhaltigkeit oder Transformation) zu entwickeln.
Auch hier sind in den letzten Jahren unzählige Beiträge erschienen, die neben derart begrifflichen Klärungsversuchen auch eine Reihe von neuen, an den angelsächsischen Diskurs angelehnten Kompetenz- bzw. Literacy-Konzepten umfassen: (critical) digital literacy, (critical) media literacy, (critical) data literacy, (critical) information literacy, (critical) algorithmic literacy, etc. (z.B. Pötzsch 2019, Pangrazio 2016, Mihailidis 2018, Pangrazio und Selwyn 2019, Polizzi 2020, Dasgupta und Hill 2021). Aus diesen Konzepten sind wiederum eine Reihe neuer Modelle und Raster entwickelt worden, um inhaltliche oder strukturelle Themenfelder zu beschreiben, die mit diesen Konzepten jeweils integriert bzw. abgedeckt werden sollen/können.
Während sich leider bei vielen dieser neueren Modelle eine tendenzielle Überbetonung auf Nutzungskompetenzen digitaler Technologien und damit eine vor allem individuelle Verantwortungszuschreibung einer ‚guten‘ oder ‚sicheren‘ Nutzung dieser Technologien ausmachen lässt (Hartong et al. 2021), so haben andere Raster derartige überindividuelle Risikozusammenhänge gezielter integriert, während andere, wie z.B. Brinda et al. (2019), wiederum auf ältere, breiter angelegte Kompetenzmodelle verweisen, die bereits weit vor der digitalen Agenda etwa in der Medienpädagogik entwickelt wurden. Das für unsere Projektschulen aktuell relevanteste Kompetenzmodell, welches eine solche Erweiterung versucht, ist das KMK-Kompetenzraster für Bildung in der digitalen Welt (Sekretariat der KMK 2016, Weiterentwicklung in KMK 2021), das inzwischen für alle deutschen Schulen verbindlich gilt und entsprechend als Leitlinie digitaler Schulentwicklung fungieren soll. In den KMK-Kompetenzen sind neben weitreichenden Anwendungsfähigkeiten etwa auch die Bereiche „analysieren und reflektieren“ sowie „schützen und sicher agieren“ enthalten. Gleichzeitig zeigen sich ähnliche Problematiken wie bei den oben diskutierten Konzepten von Nachhaltigkeit oder Lernformen der Digitalität. Zum einen, dass Schulen es mit einer extrem voraussetzungsvollen Auflistung von Zielkategorien zu tun haben – in den KMK-Kompetenzen fallen unter beide genannten Bereiche alleine 19 zu erreichende Kompetenzen, darunter z.B. „Vorteile und Risiken von Geschäftsaktivitäten und Services im Internet analysieren und beurteilen“ oder „Strategien zum Schutz entwickeln und anwenden können“. Zum anderen, dass die Form des Kompetenzrasters eine gewisse ‚Abhakbarkeit’ bzw. ‚Lösbarkeit’ digitaler Risiken suggeriert, etwa wenn Lerneinheiten zu Fake News oder zu digitaler Ökonomie in den Lehrplan integriert werden. Dies bedeutet nicht, dass derartige Inhalte nicht zentral bedeutsam sind. Jedoch sollten sie als Teil einer übergreifenden, in sämtlichen Beschäftigungskontexten mit digitalen Technologien vorkommenden Haltungsentwicklung verstanden werden, bei der Heranwachsende und Lehrkräfte immer wieder ermutigt werden, sich zu den Strukturen und Mechanismen digitalisierter bzw. algorithmisierter Gesellschaft aktiv zu positionieren (Hartong et al. 2021). Und hierzu gehört dann ebenso, zu lernen (und dies ist hier im entlastenden Sinne gemeint), dass diese Strukturen und Mechanismen zwar in ihren Logiken verstanden, aber niemals vollständig erfasst und Risiken damit immer nur partiell eingedämmt werden können. So kann etwa keine Lehrkraft vollständig erfassen, welche Daten von Lernplattformen gesammelt und an wen diese weitergeleitet werden.
Um dieses aktive Auseinandersetzen und Gestalten bei gleichzeitigem Bewusstsein für nicht unauflösbare Risiken zu beschreiben, nutzen wir bei SMASCH den Begriff der digitalen Mündigkeit. Gleichzeitig schließen wir hier einen Bereich aktiv ein, der in bisherigen Kompetenzansätzen nach wie vor eine tendenzielle Blindstelle markiert, nämlich die kritische Auseinandersetzung mit digitalen Technologien, nicht nur im Alltagsbereich (z.B. Social Media), sondern ebenso im Bildungskontext selbst (z.B. Lernplattformen). So geht es zwar auch bei SMASCH um Nutzungsfragen (z.B: „Wie nutze ich diese Lernapp?“) oder um Fragen digitaler Infrastruktur (z.B.: „Wie können wir eine stabile Geräteversorgung sichern?“); genauso geht es aber um die Frage, was in Lerntechnologien ‚drinsteckt‘ und welche Implikationen hiermit verbunden sind, also was sie mit einer Schule oder einer Klassenkonfiguration warum machen und ob sie Werten einer Schule oder didaktischen Ansprüchen – z.B.: gemeinschaftliches Arbeiten fördern – gerecht werden können (oder andersherum: Wie digitale Technologien ausgewählt und gestaltet werden können, sodass sie diesen Ansprüchen gerecht werden). Diese Fragen sind ungemein komplex und erfordern deutlich mehr Wissen über Technologien als bisher in der Breite vorhanden ist. Langfristig können sie jedoch zu einer deutlich größeren Gelassenheit und auch Experimentierfreudigkeit führen, was den Einsatz bzw. die konkrete Gestaltung digitaler Schulentwicklung angeht.
Insgesamt zeigen die begrifflichen Diskussionen folgende (normative) Positionierung des SMASCH-Projektes:
Begriffe, die im Kontext digitaler Schulentwicklung im Diskurs wachsenden Zulauf erhalten – Nachhaltigkeit, schulische Transformation, Digitalität, Mündigkeit – sind unbedingt wichtig, weil sie eine deutlich breitere Perspektive auf Digitalisierung weit über die Substitution analoger durch digitale Medien hinaus einfordern und damit gleichermaßen eine deutlich umfassendere Veränderung von Schule, um den Gestaltungsbedarfen zukünftiger Gesellschaft gerecht zu werden.
Gleichzeitig zeigt sich in Bezug auf viele aktuell prominente Konzepte eine deutliche Tendenz zum ‚Buzzwording‘, inkl. einer Beschreibung bisheriger Schulpraxis als diesen Konzepten diametral gegenüberstehend. Die nähere Betrachtung der Konzepte zeigt jedoch nicht nur, dass sie nicht nur extrem voraussetzungsreich sind, gerade was ihre Übersetzung in schulische Strukturen und Prozesse angeht, sondern ebenso viele Aspekte, die mit den Konzepten angesprochen werden, bereits in Schulpraxis adressiert, aber ggf. (noch) nicht mit digitaler Innovation zusammengedacht werden.
Statt Konzepte wie Nachhaltigkeit oder schulische Transformation als statische Zielkategorien digitaler Schulentwicklung zu verstehen (z.B. die Schule hat sich transformiert, die Schule hat nachhaltig digitalisiert, die Lehrkräfte der Schule sind digital kompetent), stehen sie in SMASCH vielmehr für aktive Auseinandersetzungs- und Entscheidungsprozesse im Rahmen final nicht auflösbarer Spannungsfelder. Dies kann entsprechend auch bedeuten, den Digitalisierungsprozess zwischenzeitlich sogar zu verlangsamen, wobei diese Verlangsamung nicht mit Stillstand verwechselt werden darf, da genau hier entscheidende Schritte der Auseinandersetzung passieren können. Dennoch stellt ein solcher Ansatz einen klaren Gegensatz zum Modus der ‚Hauruck-Digitalisierung‘ dar, in den viele Schulen in den vergangenen Jahren coronabedingt gedrängt worden sind.
Bei aller Notwendigkeit, den Blick in Bezug auf Digitalisierung zu erweitern und deutlich radikaler über Veränderungsbedarfe nachzudenken, bedeutet dies nicht, dass auch kleine Vorhaben und Projekte, die erstmal weniger ‚revolutionär‘ erscheinen oder sich schlichtweg an gegebenen Strukturen oder Ressourcen orientieren müssen, ebenso gewinnbringend sein können, sofern sie in eine übergreifende Strategie bzw. Haltung eingebettet sind. Im Gegenteil sehen wir im Kontext von SMASCH einen unbedingten Gewinn darin, durch die Brille ganz unterschiedlicher Projekte oder Interessen der Projektschulen auf diese ‚großen Fragen‘ zu blicken und jeweils unterschiedliche Facetten sichtbar zu machen.
SMASCH als Forschungslabor und Designwerkstatt
Die Präsenz von Wissenschaftler.innen im bzw. ihre Involvierung mit dem Feld, das sie beforschen, ist seit jeher Diskussionsgegenstand nicht nur, aber insbesondere, in der qualitativen Forschung. Entgegen der Vorstellung, Wissenschaftler.innen müssen ‚unsichtbar‘ und ‚objektiv‘ sein, um die Ergebnisse nicht zu kontaminieren, (bspw. Homans für die ethnografische Forschung in Dunkake 2019) folgen wir in SMASCH einem inzwischen zunehmend breitem Strang an Organisations- bzw. gestaltungs- und entwicklungsorientierter Bildungsforschung, die Forschung grundsätzlich als Intervention in einen Praxiszusammenhang versteht. Diese Intervention, so die Argumentation, kann vor allem dann zur Legitimität, Vertrauenswürdigkeit und zum Reichtum der generierten Forschungsergebnisse beitragen, wenn die Interessen und unterschiedlichen Perspektiven von Praktiker.innen und Forschenden offengelegt und in Einklang gebracht werden (Rau et al. 2021; Spoden et al. 2021; Brannick et al. 2006, Langley et al. 2019). Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den SMASCH-Schulen nehmen die Wissenschaftler.innen deshalb unterschiedlichste Rollen ein, um die Schulentwicklungsprozesse auf verschiedenen Ebenen zu beforschen (siehe Abschnitt 1.3). Einerseits verfolgen sie hierbei Ansätze der traditionellen ethnographischen Forschung, etwa teilnehmende Beobachtungen oder Interviews. Andererseits experimentieren sie insbesondere mit Methodologien aus der partizipativen und interventionistischen Forschung, indem sie sich aktiv an den Schulentwicklungsprozessen beteiligen, beispielsweise durch fachliche Inputs oder beratende Tätigkeiten.
In der Organisationsforschung geht diese methodologische Haltung u.a. auf den Organisationspsychologen und -entwickler Edgar Schein zurück, der die fruchtbarsten Forschungsgelegenheiten in Situationen identifizierte, die aus Unterstützungsabsicht und nicht durch reine Forschungsinteressen entstanden (Schein 2008). Hilfreiche Daten zu sammeln geschieht demnach am besten in Situationen, die auch durch Hilfesuchende und nicht nur durch eine festgelegte Forschungsagenda definiert sind. Trotz der relativen Nähe unterscheidet sich Scheins ‚clinical inquiry research‘ genau an diesem Punkt von so genannten ‚action research‘-Ansätzen, wo Praktiker.innen zwar aktiv involviert werden, die aber die Agenda von Forschenden oder eines so genannten Change Agents ins Zentrum eines Vorhabens stellen. In Anlehnung an ‚clinical inquiry research‘ ist für die Forscher.innen bei SMASCH maßgeblich das Potential der gegenwärtigen Situation einer Schule leitend für den spezifischen Zuschnitt dessen, was dort genau untersucht wird. Auch wenn die Forscher.innen natürlich bereits durch bestimmte theoretische/methodologische Annahmen vorgeprägt sind, wie bspw. oben erläutert, Konzepte kontinuierlichen Wandels, werden im konkreten Kontakt mit der Schule spezielle Aspekte der Forschung vertieft. So wird in einigen Schulen bspw. ein gewisses Leiden an einem ‚overload‘ an Projekten formuliert, das auf Forschungsseite zu der Frage führen kann, wie sich diese Situation auf den strategischen Wandel/die Positionierung der Schulen auswirkt. Gleichsam können durch die gemeinsame Reflexion dieses Zusammenhangs mit Praktiker.innen die beschriebenen Probleme sowie deren (Entstehungs-) Kontext und spezifische Dynamiken auch von diesen besser verstanden werden. Die theoretische Rechtfertigung für diese Art der Forschung lässt sich wahrscheinlich gut durch Kurt Lewins Dictum erklären, man könne eine Organisation nicht verstehen, bis man versucht habe, sie zu verändern (Lewin 1951).
Vor dem Hintergrund dieser Methodologie lässt sich auch der Einsatz von Prozessbegleitungen innerhalb von SMASCH verorten, die in den Schulen gemeinsam mit den schulischen Akteur.innen die Ausgangssituation eruieren und sich auf einen iterativen Findungsprozess begeben. An dieser Stelle haben die Prozessbegleitungen die am stärksten interventionistische Rolle innerhalb des Forschungsprojektes, was wiederum den Forschenden zumindest zeitweilig die Möglichkeit gibt, in eine stärker beobachtende Perspektive zu wechseln. In der Schulbegleitung wird das Handeln analog zum Konzept der Prozessberatung auf eine zentrale Annahme zurückgeführt: man kann einem menschlichen System nur dabei helfen, sich selbst zu helfen. Die Beraterin, in unserem Fall die Prozessbegleitung, weiß nie genug über die gegebene Situation und Kultur der Organisation Schule, um dieser zweifelsfrei bestimmten Maßnahmen zur Behebung ihrer Probleme empfehlen zu können. Sie begibt sich vielmehr mit den Schulen in einen Prozess der wechselseitigen und gemeinsamen Diagnose unter dem Motto, dass es keine perfekte Organisationstruktur und keinen perfekten Prozess gibt (Schein 2000). Insofern liegt die Betonung tatsächlich auf Prozess, da im Sinne des in Kapitel 2.1 erläuterten Verständnis von Transformation als kontinuierlichen Wandel im Laufe des Prozesses neue Veränderungen eintreten, die iterativ eingearbeitet werden. Prozessbegleitungen können schulischen Akteur.innen durch den Aufbau einer „helfenden Beziehung“ (ebd.) unterstützen, aber das Problem und dessen Lösung ‚gehören‘ den Schulen.
Wie bereits erläutert, verfolgt SMASCH neben bzw. als Teil der kontinuierlichen Prozessbegleitung die Entwicklung konkreter Projekte, die die schulische Auseinandersetzung mit digitalem Wandel ‚greifbar‘ machen sollen. Auch hier orientieren wir uns an einer ähnlichen Methodologie, die bei der Entwicklung eines Produkts (z.B. innovatives Unterrichtskonzept) die „Ausrichtung an Fragestellungen der Bildungspraxis” (Spoden/Schrader 2021, 7) in den Mittelpunkt rückt. Dieser Ansatz wird in der Bildungsforschung oft als design-based research (DBR) beschrieben (z.B. Bakker 2019). Forschung und Praxis werden hier so miteinander verzahnt, dass gemeinsam über die Entwicklung eines Produkts entschieden wird, das eine ursprüngliche Problemstellung aus der Bildungspraxis adressiert. Im Entwicklungsprozess werden wissenschaftliche Fragestellungen auf Basis schulischer Bedarfe oder Beobachtungen kontinuierlich angepasst. Gleichzeitig wird theoretisches und methodologisches Forschungswissen für die Entwicklung und Umsetzung des Produkts genutzt (z.B. Rau et al. 2021). Die entwickelten Materialien oder Konzepte werden in iterativen Zyklen getestet, reflektiert und weiterentwickelt (vgl. z.B. McKenney und Reeves 2018). Der Ansatz des DBR wird in der aktuellen Bildungsforschung allerdings sehr unterschiedlich ausgelegt. Während ein Großteil der DBR-Forschung sich an einem „engineering model of design” (kritisch hierzu Richter et al. und Allert 2017, 2) orientiert und damit auf die Lösung eines bestimmten Problems hinarbeitet ohne die Veränderung des Problems oder das Entstehen anderer Probleme im Prozess in den Blick zu nehmen, wird Design in anderen DBR-Kontexten insbesondere als Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Technologien und damit einhergehenden wertrationalen Fragen bzw. Spannungsfeldern eingeführt (Allert et al. 2014).
Dieses letztere Verständnis von Design – welches Wissenschaft und Praxis bereits frühzeitig in einem gemeinsamen Erkenntnisprozess vereint, in dem immer wieder neue (teilweise nicht eindeutig lösbare) Fragen/Probleme aufgeworfen werden – nutzt SMASCH, um langfristig digitale Souveränität, Mündigkeit und Gestaltungskompetenz im schulischen Kontext zu stärken. Dafür werden Pädagog.innen im gemeinsamen Gestaltungsprozess mit Wissenschaftler.innen und weiteren Expert.innen an eine „forschenden Haltung“ (Cafantaris et al., 2023) herangeführt, um Veränderungen, Chancen und Risiken, welche mit digitalen Technologien einhergehen, kontinuierlich reflektieren und einschätzen zu lernen. Die Einbindung verschiedener Bildungsakteur.innen im Forschungs- und Entwicklungsprozess wird dementsprechend als demokratisierendes Element verstanden, das insbesondere Lehrkräfte zu kritischen Anwender.innen digitaler Technologien machen soll (Richter et al. 2017; Cumbo et al. 2021). Es geht bei der Entwicklung der Produkte also nicht in erster Linie um die Erschaffung eines möglichst perfekten Artefakts, sondern ähnlich wie in der Prozessberatung steht der gemeinsame Gestaltungs- und Erkenntnisprozess im Mittelpunkt, der schulischen Akteur.innen reflexive Methoden an die Hand gibt, um ihren individuellen Schulkontext langfristig im Rahmen einer „Kultur der Digitalität“ (Stalder 2021) bewusst gestalten und Chancen sowie Risiken digitaler Technologien kontinuierlich abschätzen zu können.
Gerade im Rahmen der ersten Projektphase, in der mit den Schulen eine Grundlage der gemeinsamen Arbeit an Digitalisierungsthemen geschaffen werden musste, konnte im SMASCH-Projekt vielfältiges Wissen über die dargestellten prozess-orientierten Forschungsansätze generiert werden. Hierzu zählt insbesondere auch, Schulen die dialogisch orientierte Position von Wissenschaft und Prozessbegleitung zu vermitteln sowie diese immer wieder aktiv einzunehmen. Hiermit meinen wir beispielsweise, dass in vielen Schulen gängigerweise ein Bild von Wissenschaft und Beratung vorherrschte, welches dieses mit ‚gesichertem Wissen‘ bzw. mit einer Hoffnung auf klare Handlungsanleitungen gleichsetzt. Im Gegenteil versteht sich die Forschungsseite bei SMASCH als Vermittlerin einer unklaren bzw. widersprüchlichen Wissenslage über Digitalisierung und, damit zusammenhängend, als nicht in der Situation, klare Reformvorschläge, Checklisten oder Empfehlungen (z.B. für spezifische Plattformen) bereitzustellen. Vielmehr ist die Idee, Schulen in Wissenschaft als Such- und Erprobungsprozess selbst eintauchen zu lassen bzw. diese Prozesse selbst zu implementieren. Ein solcher Ansatz steht nicht selten in Spannung zum gleichzeitigen Anspruch, Schulen in ihren Entscheidungen helfen zu wollen (was an vielen Stellen eben nicht selten mit Erwartungen klarer Handlungsempfehlungen verbunden ist). Dennoch geht das Projekt davon aus, dass gute, nachhaltige digitale Schulentwicklung nur gelingen kann, wenn Schulen selbst das kontinuierliche Beforschen von Digitalisierung (d.h. Wirkungswissen anstatt Anwendungswissen) erlernen und um ihre kontinuierlichen Ambivalenzen wissen.