Fallbeispiel I: Organisationales Lernen in integrierten Vernetzungsprozessen

Im Sinne eines gesamtorganisationalen Lernprozesses versucht SMASCH, wie oben beschrieben, möglichst viele laufende Projekte und Aktivitäten innerhalb einer Schule zueinander in Beziehung stehend zu betrachten und damit eine strategische Perspektive auf die Entwicklung von Schule als Gesamtorganisation zu ermöglichen. Insofern sollen Prozessschritte so gestaltet werden, dass möglichst viele Bereiche des schulischen Lebens miteinander in Resonanz gebracht und möglichst viele Akteur.innen im Verlauf des Prozesses nicht nur angesprochen und einbezogen werden, sondern sich im Idealfall auch ihre Lust auf das eigene Mitwirken, Ausprobieren und Umsetzen vergrößert.

Wie in den methodologischen Grundlagen (Kapitel 2) erläutert, ist eine zentrale Annahme im Kontext der Prozessbegleitung in den Schulen, dass eine „helfende Beziehung“ (Schein 2000) nur dann gelingen kann, wenn sich der Beratungsprozess konsequent am Anliegen der Schule orientiert. Dabei ist eine behutsame Analyse der Ausgangsituation von Bedeutung, da diese bspw. bereits impliziert, mit welchem Grad an Beteiligung gestartet wird. Akteur.innen im Schulkontext sollen sich idealerweise weder überrumpelt noch ausgeschlossen fühlen. Im Gymnasium Rahlstedt (GyRa) hat SMASCH deshalb nach Gesprächen mit der Schulleitung und der Steuerungsgruppe zu Beginn zu einem – bewusst freiwilligen – Workshop für all diejenigen Personen eingeladen, die sich mit dem Thema Digitalisierung grundsätzlicher auseinandersetzen wollen. Der inhaltliche Fokus lag dabei weniger auf technischen als auf umfassenderen Fragen im Sinne von ‚Qua vadis GyRa?’; ‚Wie entwickelt sich das GyRa durch die Digitalisierung didaktisch weiter?’; ‚Woran soll sich die Digitalisierung am GyRa orientieren?’.

Die Ergebnisse des Workshops zeigten, wenig überraschend, dass Digitalisierung in dieser Schule nur eine von mehreren strategischen Entwicklungsrichtungen darstellt. Zu diesen gehören am GyRa bspw. UNESCO-Schule, kognitive Aktivierung oder kulturelle/künstlerische Projekte (z.B. TUSCH). Es kristallisierte sich das Anliegen der Teilnehmenden heraus, eine Transformation der eigenen Schule in Richtung lernende Organisation vollziehen zu wollen. Diese Vision wurde für den weiteren Verlauf des Prozesses entsprechend leitend, denn sie korrespondiert einerseits mit der Idee einer sinnhaften Digitalisierung, die auf pädagogisch-didaktische Inhalte als Grundvoraussetzung fokussiert. Andererseits betont sie aber auch die Erkenntnis, dass Digitalisierung eine neue Lernkultur erfordere, die sowohl für Schüler.innen, als auch für Lehrkräfte unterschiedliche Wege bzw. Experimentierräume ermöglichen sollte, Lernziele zu erreichen. Entsprechend war die Zielformulierung des Workshops auch, weiter an der Frage zu arbeiten, wie angesichts begrenzter Ressourcen ein systematischer Austausch zwischen den Lehrkräften bzgl. dieser Fragen geschaffen werden und wie eine Vernetzung der vorhandenen Projekte und Aktivitäten am GyRa gelingen könnte.

Als nächster Schritt wurde der Kreis der Teilnehmenden mittels eines sogenannten Open Space auf die gesamte Lehrerkonferenz erweitert. Ein Open Space ist ein partizipatives Konferenzformat, bei dem Teilnehmende selbstorganisiert zu besprechende Themen planen und in Gruppen diskutieren. In diesem Rahmen wurde sowohl eine Weiterentwicklung der Themen aus dem ersten Workshop als auch neue Schwerpunktsetzungen aufgenommen, um den Anliegen der Hinzugekommenen Rechnung zu tragen. Hier wurde insbesondere den unterschiedlichen Fokussen Rechnung getragen, die mit dem Thema Digitalisierung verknüpft wurden, und die die technische Seite ebenso wie breitere, mit Digitalität verbundene Fragen abdecken. Entsprechend reichten die Themen von Moodle im Präsenzunterricht, Klassenraumtechnik, H5P-Aktivitäten oder iPad-Klassen, bis hin zu Fragen der Partizipation, Verknüpfung von Digitalisierung mit UNESCO-Schulstatus, kognitiver Aktivierung, etc.

Als bedeutende Dimension für den digitalen Transformationsprozess wurde im Rahmen der SMASCH-Veranstaltungen Austausch im Sinne einer systematischen Vernetzung identifiziert. Dies greift auch die theoretische Perspektive innerhalb des SMASCH-Projektes auf, wonach in einer Welt des kontinuierlichen Wandels situiertes Lernen und experimentier- und fehlerfreundliche Partizipation im Sinne von Communities of Practice (Lave et al. 1991) Motor für die Gewinnung einer neuen strategischen Orientierung sein können. Das Erschließen strategischer Potenziale in einer entsprechend großen und komplexen Organisation wie dem GyRa erfordert einen Orientierungsrahmen, der die gegenseitige Wahrnehmung fördert und an gut gewählten Stellen ‚Relaisstationen’ einbaut, die eine systematische – und nicht nur zufällige – Begegnung und Vernetzung ermöglichen.

In der Steuerungsgruppe wurde deshalb im Anschluss an die erste Phase des Projekts vereinbart, dass die Prozessbegleitung auf Basis von Interviews mit schulischen Schlüsselpersonen eine Projektlandkarte erstellt. In diesem ersten Schritt ging es zunächst darum, das Bewusstsein dafür zu schaffen, was es an Projekten und Entwicklungen im GyRa gibt, um auf dieser Basis eine Vernetzung und Weiterentwicklung der Themen zu erleichtern.

Abbildung 3: Co-kreierte interaktive Projektlandkarte

Der aktuelle Stand der Projektlandkarte (Abbildung 3) zeigt eine starke Fokussierung auf technische/anwendungsorientierte Themen wie Hardware, Computerführerscheine (ICDL)1ICDL (International Certification of Digital Literacy) ist ein internationales Standardmodell für digitale Kompetenzen für Schulpersonal, Moodle etc., was erst einmal den status quo der Schule repräsentiert. Die Projektlandkarte ist dabei bewusst lebendig gedacht, d.h. nicht auf diesem Stand bleibend, sondern wird kontinuierlich diskutiert und dynamisch weiterentwickelt. Darüber hinaus soll sie zunehmend dacht, d.h. nicht auf diesem Stand bleibend, sondern wird kontinuierlich diskutiert und dynamisch weiterentwickelt. Darüber hinaus soll sie zunehmend sowohl inhaltlich als auch organisatorisch die Verknüpfung mit anderen Projekten darstellen und bewusst machen, wo im Schulalltag systematische Verbindungen zwischen Themen bestehen oder hergestellt werden können. Eine Vision in diesem Rahmen könnte sein, den Status des GyRas als UNESCO Schule als eine Art Dach für die diversen Projekte zu nutzen. Die Ideen innerhalb dieses Rahmens überschneiden sich in etlichen inhaltlichen Zielsetzungen mit anderen Projekten, nicht zuletzt mit SMASCH, da der mündige Umgang mit Chancen und Risiken des digitalen Zeitalters eine tragende Säule im Konzept einer UNESCO-Schule spiegelt. Auch verändert eine Kultur nach den Werten der UNESCO erheblich den Unterricht, wenn bspw. stärker in klassen- oder jahrgangsübergreifenden Projekten mit Schüler.innen an übergeordneten Themen gearbeitet wird. Diese Arbeit kann dann wiederum mit der Idee von kognitiver Aktivierung, unterstützt durch digitale Technologien in mündiger Nutzung, verknüpft werden.

Eine große Herausforderung im GyRa liegt, wie in anderen Schulen auch, in der schieren Alltagslast und damit einhergehender Überforderung der Lehrer.innen (siehe auch Kapitel 5.3). Strategisch angelegte Projekte wie eine solche Landkarte traten daher gegenüber operativen Erfordernissen immer wieder in den Hintergrund und die durch das Projekt möglich werdenden Synergien drohten daher regelmäßig verloren zu gehen. Gleichzeitig erwies sich die ‚Schere‘ zwischen denjenigen Lehrkräften, die in Nutzung und Auseinandersetzung mit digitalen Technologien bereits sehr weit vorangeschritten sind, und denjenigen, die nach wie vor am Anfang dieses Prozesses stehen (etwa, weil sie unsicher sind oder bislang keinen ‚passenden‘ Einstieg gefunden haben) als herausfordernd. Denn auch wenn SMASCH die Vielfältigkeit von Einstiegsoptionen in die Auseinandersetzung mit Digitalität betont, so sind etwa fehlende Basiskompetenzen bzw. fehlendes Basiswissen auch für den gesamtorganisationalen Weiterentwicklungsprozess eine Hürde. Umso stärker lag entsprechend das Augenmerk darauf, integrierte Entwicklungsideen zu etablieren und gemeinsam mit den Schulakteur.innen Verbindlichkeit in Form von Rollenklärungen und Verantwortlichkeiten zu schaffen. Gleichzeitig war umso zentraler, eine prozessbezogene bzw. inhaltliche Impulsgebung sicherzustellen, die, wie die Landkarte, dezidiert an den schulischen Alltagspraktiken anknüpfen kann. Ziel ist, durch derartige Strategien die oben beschriebene Kultur des Experimentierens zu fördern, die einerseits von einer gemeinsamen Orientierung, aber zugleich dezentralen und verbindlichen Strukturen profitiert.