Seit dem Schuljahr 2020/21 steht allen Hamburger Schulen das Lernmanagementsystem LMS.lernen.hamburg kostenfrei zur Verfügung. LMS.lernen.hamburg ist Moodle-basiert und wurde dezidiert von der Hamburger Bildungsbehörde in Zusammenarbeit mit der Firma OnCampus für den Hamburger Schulkontext entwickelt. Die LMS.lernen.hamburg-Plattformarchitektur bietet viele Funktionen (von der digital gestützten Planung und Durchführung von Unterricht, über das Strukturieren und Zugänglichmachen von Informationen und Dokumenten, bis hin zur Nutzung für Kommunikation), ist in diesem Sinne aber auch herausfordernd für die Schulen. Denn wie jede digitale Technologie oszilliert LMS.lernen.hamburg zwischen vorgegebenen Designs bzw. Nutzungsarchitekturen und kontextspezifischer Gestaltbarkeit, die Schulen erfassen müssen, um die Technologie bedarfsgerecht, risikobewusst und experimentierfreudig nutzen zu können. Fortbildungen zu LMS.lernen.hamburg werden vom zuständigen Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung angeboten, können aber natürlich nicht die längerfristige Begleitung im schulischen Einzelkontext abdecken.
Während vor allem in den Sekundarschulen des SMASCH-Samples LMS.lernen.hamburg bzw. alternative Moodle-basierte Plattformen bereits (wenngleich auf sehr unterschiedliche Art und Weise) genutzt werden, so standen sämtliche SMASCH-Grundschulen im ersten Projektschuljahr viel grundsätzlicher vor der Frage, ob und wie sie LMS.lernen.hamburg einführen und nutzen wollen/können, sodass es zu ihrer jeweiligen Schule passt und sie wirklich weiterbringt. Ausgangsfrage um die Einführung von LMS.lernen.hamburg im SMASCH-Sinne war und ist entsprechend, wie es von Anfang an gelingen kann, dass LMS.lernen.hamburg nicht als eine reine Nutzungssoftware wahrgenommen wird, sondern als ein dynamisches, sozio-technisches Gefüge, welches durch die vordesignten Möglichkeiten und gleichzeitigen Einschränkungen unmittelbar Konsequenzen für die Schule als Organisation und die Pädagogik hat bzw. auch haben soll (also nachhaltige Veränderung durch eine spezifische Gestaltung und Einbindung der Technologie angeregt werden soll). Zentral war und ist im Begleitungsprozess um LMS.lernen.hamburg in diesem Sinne immer wieder aufzuzeigen, wann und wo genau dieses Stecken von grundlegenden schulischen Fragen im Design überall sichtbar wird und in Hinblick auf Passung mit dem, was die Schule eigentlich will (z.B. partizipative Gestaltung/Teilhabe an LMS.lernen.hamburg),
verändert werden kann. Wie die Ergebnisse der Erhebung zeigen, wurde genau dieses Hinschauen auf Designdetails und ihre Konsequenzen für die meisten Schulen als eine wirklich neue und auch ungewohnte Perspektive auf Technologie erlebt, die ganz andere Denkprozesse anregt, als wenn es ausschließlich darum geht, Funktionen von LMS.lernen.hamburg zu erläutern und anwenden zu lernen. Gleichzeitig gelingt ohne ein Kennen dieser Funktionen sowie ohne ‚Mut zur Nutzung’ auch die Auseinandersetzung nicht; Ansatz bei SMASCH ist entsprechend, beides bestmöglich und unmittelbar miteinander zu verbinden.
Die folgenden Einblicke beziehen sich auf diesen bisherigen, von SMASCH begleiteten Findungsprozess in den Grundschulen, darunter insbesondere auf die Grundschulen Adolph-Diesterweg, Richardstraße und Neugraben.
So war in einer der genannten Grundschulen von Anfang an ein zentraler Wunsch der Schulleitung, LMS.lernen.hamburg als Plattform für Wissensmanagement im Kollegium zu etablieren, d.h. als Ort für Informationen und Austausch, einzuführen sowie als dynamisches Konstrukt, das unter Einbeziehung des Kollegiums konstant weiterentwickelt werden soll. Anhand von LMS.lernen.hamburg sollte also die partizipative Entwicklung und Gestaltung digitaler Transformation unter Einbindung des Kollegiums erprobt und kennengelernt werden. Bei der initialen Gestaltung einer entsprechenden LMS.lernen.hamburg-Einstiegsseite (vorerst ‚Digitales Lehrerzimmer’ genannt), die zwischen der Schulleitung und der schulübergreifenden medienpädagogischen Begleitung stattfand, zeigten sich dann unmittelbar die ersten Beispiele, wo das ‚Große im Kleinen’ sichtbar wurde. So wurden auf die Frage der Medienpädagogin hin, was denn auf der Startseite des LMS.lernen.hamburg sichtbar sein soll, zunächst relativ schnell vor allem pragmatische (Ordner-) Kategorien genannt, etwa ‚Formulare & Anträge’, ‚Termine’ oder ‚Die Schulleitung informiert’. Im Design, mit dem zunächst gearbeitet wurde, waren maximal neun Unterkategorien bzw. themenspezifische Kacheln vorgesehen; entsprechend ergab sich als nächstes die Frage ‚Was noch?’. Hier setzte die Medienpädagogin ein und stellte die Frage anders: ‚Was ist uns als Schule so wichtig und wird vielleicht bislang zu wenig sichtbar, dass es auf LMS.lernen.hamburg direkt (neue) Relevanz zugeschrieben bekommen sollte?’. Hiermit entbrannte sich eine Diskussion und ein Nachdenken um die schulischen Strukturen insgesamt, um Kommunikationsstrukturen und Alltagsthemen. Im Kontext dieser Diskussionen wurden drei weitere Themen besonders relevant: Erstens im Alltag laufende, aber zu wenig systematisierte Elternarbeit, zweitens Kolleg.innen, die im Alltag Hilfe benötigen und nicht wissen, wo sie sie finden, und drittens der Wunsch, der Schulcommunity auch intern einen Platz zu geben, an dem über die eigene Schulidentität nachgedacht wird (das Feld ‚Das sind wir’) (siehe auch Abbildung 4).
Wie sich zeigt, bot bereits die Definition der Einstiegskacheln einen niedrigschwelligen Einstieg in die Auseinandersetzung mit in digitalen Designs verbundenen Wertigkeitsentscheidungen, welche später bei den Schulakteur.innen als Nutzungsarchitekturen sichtbar werden. Gleichzeitig zeigte sich genau hier bereits ein nächster Moment des Innehaltens, nämlich konkret bei der Frage, wie eine partizipative LMS.lernen.hamburg-Entwicklung aussehen kann, bei der einmal definierte Strukturen die Nutzer.innen nicht automatisch von einem weiteren Nachdenken über Um- und Weitergestaltung abhalten bzw. in Passivität drängen. Entsprechend wurde im beschriebenen Fall ein einfacher Trick eingebaut: Hinter einer der neun Kacheln versteckt sich ein Glossar, in dem alphabetisch geordnet hilfreiche Informationen für den Lehrkräftealltag hinterlegt sind. Egal, auf welchen Buchstaben des Glossars geklickt wird, immer erscheint zunächst ein Einladungs- (und damit auch ein Aufforderungs-)Button, über Kritik am Design nachzudenken, Vorschläge für eine Ergänzung zu machen und diese auf einem kollaborativen Board zu posten (Abbildung 5). Durch diese Interventionsmöglichkeit für Nutzer.innen wird die LMS.lernen.hamburg-Oberfläche zu einem dynamischen Konstrukt, das im weiteren Verlauf immer wieder durch die Schulleitung und die medienpädagogische Begleitung entsprechend der Bedarfe und des Kontextgeschehens angepasst wird.
Durch das Herantragen der ersten LMS.lernen.hamburg-Entwürfe an das Kollegium und das Auseinandersetzen mit dem ‚Digitalen Lehrerzimmer’ in ersten Konferenzen, entstand nach kurzer Zeit Interesse im Kollegium, das System sich nicht nur als Nutzer.innen der Wissensmanagementplattform zu erschließen, sondern für den eigenen Unterricht gestalten zu wollen. Es wurde explizit nach Möglichkeiten gefragt, wie das System auch für die Unterrichtsentwicklung und -gestaltung nutzbar gemacht werden kann. Das SMASCH-Team ermutigte hierbei immer wieder, zunächst zu überlegen, was genau die pädagogische Idee bestimmter Unterrichtssettings sei und welches Design es bräuchte, um diese Ideen ernsthaft zu adressieren. Implizit bedeutet dies auch immer wieder sich von Funktionen, die diesen Ideen nicht entsprechen, abgrenzen zu lernen, sowie insgesamt jede Form ‚blinder Nutzung’ zu überwinden. Dies bedeutet gleichzeitig, dass erfolgreiche Designmomente als solche rückgemeldet werden müssen mit dem Ziel, Mut zu machen, immer wieder Fragen zu stellen, Dinge auszuprobieren und kritisch zu reflektieren (siehe auch Abbildung 6).
In einer anderen Grundschule kam SMASCH in einen Prozess hinein, in der die Schule bereits seit Sommer 2021 mit der LMS.lernen.hamburg-Einrichtung begonnen und erste Fortbildungen absolviert hatte, jedoch die Komplexität des Systems als überfordernd erlebt wurde. Entsprechend stand die Schule in dem Moment, als SMASCH in den Prozess einstieg, nochmals grundsätzlicher vor der Frage, ob an LMS.lernen.hamburg festgehalten werden sollte oder nicht. Gemeinsam mit den Jahrgangsteamleiter.innen einigte man sich zunächst auf eine Entschleunigung im Implementierungsprozess, um sich im Rahmen einer weiteren Erkundungsphase LMS.lernen.hamburg im Vergleich zu anderen Systemen anzuschauen und das LMS.lernen.hamburg-Design durch diesen Prozess besser reflektieren zu können.
Neben der wissenschaftlichen Begleitung stellte SMASCH dem Medienkoordinator der Schule, welcher LMS.lernen.hamburg als Key-User betreut, die schulübergreifende medienpädagogische Begleitung des Projekts zur Seite, um ihn bei der Entscheidungsfindung für oder gegen LMS.lernen.hamburg zu unterstützen. In diesem Prozess kristallisierte sich heraus, dass LMS.lernen.hamburg bleiben sollte, allerdings mit einem deutlich stärkeren Fokus auf Nutzungsmöglichkeiten im Unterricht. Damit rückte gleichzeitig die Frage ins Zentrum, wie Plattform und Unterrichtspraktiken interagieren (können) und, hiermit zusammenhängend, wie die LMS.lernen.hamburg-Oberfläche so gestaltet werden kann, dass sie für Grundschulkinder geeignet ist und von diesen bedient werden kann. So ging es im ersten Designzyklus zunächst insbesondere darum, innerhalb des Entwicklungsteams (Medienkoordinator, externe Medienpädagogin und teilw. Wissenschaftlerin) Möglichkeiten der Visualisierung auf LMS.lernen.hamburg kennenzulernen und deren Implikationen durch eigenes Ausprobieren von Testoberflächen zu reflektieren und zu diskutieren. Beispielsweise wurde getestet, wie aussagekräftige Bilder und Grafiken bestimmte Facetten von Unterricht symbolisieren und mit bestimmten Funktionen hinterlegt werden können, um von einer sprachbasierten Bedienung Abstand zu nehmen.
Auf Basis dieser Experimentierphase war der nächste Schritt, dem Gesamtkollegium LMS.lernen.hamburg aus einer solchen Unterrichtsentwicklungsperspektive näher zu bringen. Der Schulleitung war hier insbesondere wichtig, dass sämtliche Kolleg.innen Testläufe mit LMS.lernen.hamburg im Unterricht initiieren und in Rückmeldeprozesse einsteigen. Hierfür gestaltete das Entwicklungsteam einen ersten Entwurf mit zunächst wenigen Grundfunktionen, zu denen entsprechend auch ein kollaboratives Board gehörte, um Feedback für die Weiterentwicklung von LMS.lernen.hamburg unmittelbar einen Ort zu geben (Abbildung 7).
Im Rahmen einer LMS.lernen.hamburg-Rallye auf einer Lehrkräftekonferenz hatten die Kolleg.innen die Möglichkeit, die Funktionen und die Oberfläche auszuprobieren und zu testen, inkl. dem kollaborativen Board. Im Anschluss an die Rallye bot die Konferenz die Möglichkeit, auch im Plenum über die Erfahrungen zu reflektieren und weitere Schritte gemeinsam zu überlegen. Ein zentraler Wunsch der Lehrkräfte war, weitere Möglichkeiten im Kontext kollaborativen Arbeitens kennenzulernen – was entsprechend in die darauffolgende Oberflächengestaltung noch stärker einfloss.
Die dargestellten Momente sind wie gesagt nur ein kleiner Ausschnitt der Auseinandersetzungs- und Gestaltungsprozesse rund um LMS.lernen.hamburg im Rahmen von SMASCH. Insgesamt zeigen diese Prozesse bislang jedoch sehr deutlich, dass sich die Perspektive der Schulen auf die Technologie grundsätzlich verändert, wenn das Beibringen von Funktionen von Anfang an mit einer kritischen Reflexion von Designimplikationen (= Modellierung), aber auch Möglichkeiten kreativer Designexperimente einhergeht. Im Prinzip ist eine solche Haltung übertragbar auf sämtliche technologische Einführungs- bzw. Weiterentwicklungsmomente von Lernapps oder -plattformen (siehe auch Kapitel 4.3); entsprechend schwingt ein solch übertragender Blick auch beim Thema LMS.lernen.hamburg stets mit. Aufgrund der insgesamt hohen Bedeutung und auch enormen Komplexität der LMS.lernen.hamburg-Einführungs- und Gestaltungsprozesse wurde im Herbst 2022 hierzu eine eigenständige wissenschaftliche Begleitstudie zu LMS.lernen.hamburg initiiert, die über die kommenden Schuljahre hinweg an den Prozessen partizipiert und Auswertungen zu den Prozessen unmittelbar an die Schulen zurückspiegeln wird.